Gleichstellung und Gleichberechtigung von Männern und Frauen
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eines der Ziele der Europäischen Union. Sie ist Ausdruck sozialer Gerechtigkeit, da zu einer gleichen Teilhabe an persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten führt. Es geht um die Gleichstellung von Frauen und Männern in rechtlicher Hinsicht und im Hinblick auf ihr persönliches und berufliches Entfaltungspotential in der Gesellschaft (Chancengleichheit). Damit wird die Freiheit und die Selbstbestimmung in der Gesellschaft ermöglicht, sowohl Männer als Frauen ihre individuelle Lebensentwürfe gleichermaßen realisieren zu können.
Die Gleichstellung der Geschlechter als eines der 20 Schlüsselprinzipien der europäischen Säule sozialer Rechte zielt darauf ab, Folgendes zu gewährleisten:
das Recht auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit;
die Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Männern und Frauen in allen Bereichen, unter anderem auf dem Arbeitsmarkt, Beschäftigungsbedingungen, berufliches Fortkommen.
Das Ziel der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist auch in Artikel 3 II des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verankert:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Während der Begriff der Gleichberechtigung die Ebene der Rechte umfasst, zielt der Begriff der Gleichstellung darauf ab, die Lebenssituation der im Prinzip gleichberechtigten Gruppen politisch umzusetzen.
Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat eine wichtige Rolle bei der Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen gespielt. In diesem Zusammenhang gab es eine Reihe wichtiger Urteile.
Defrenne-II-Urteil vom 8. April 1976 (Rechtssache 43/75): Der EuGH erkannte die unmittelbare Geltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts von Männern und Frauen an und urteilte, dass der Grundsatz nicht nur für den Bereich der öffentlichen Behörden gilt, sondern sich auch auf alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge erstreckt.
Bilka-Urteil vom 13. Mai 1986 (Rechtssache C-170/84): Der EuGH entschied, dass eine Maßnahme, die Teilzeitbedienstete von der betrieblichen Altersversorgung ausschließt, als „mittelbare Diskriminierung“ einen Verstoß gegen den ehemaligen Artikel 119 des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft darstellt, wenn sie wesentlich mehr Frauen als Männer betrifft, außer wenn nachgewiesen werden konnte, dass der Ausschluss auf Faktoren beruhte, die objektiv gerechtfertigt waren und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hatten.
Barber-Urteil vom 17. Mai 1990 (Rechtssache C-262/88): Der EuGH entschied, dass alle Formen von betrieblicher Altersrente einem Entgelt im Sinne des ehemaligen Artikels 119 gleichzustellen sind und der Grundsatz der Gleichbehandlung daher auf sie anwendbar ist. Der EuGH leitete daraus den Grundsatz ab, dass Arbeitnehmer männlichen Geschlechts ihre Rechte in Bezug auf Alters- und Hinterbliebenenrenten im gleichen Alter wie ihre Kolleginnen geltend machen können.
Marschall-Urteil vom 11. November 1997 (Rechtssache C-409/95): Der EuGH erklärte, dass das Gemeinschaftsrecht keiner nationalen Regelung entgegensteht, nach der in Tätigkeitsbereichen, in denen Frauen weniger vertreten sind als Männer, vorrangig Bewerberinnen zu befördern sind (positive Diskriminierung), sofern dieser Vorteil nicht automatisch gewährt wird, den männlichen Bewerbern eine Prüfung ihrer Bewerbung garantiert ist und sie nicht schon im Vorhinein von einer Bewerbung ausgeschlossen werden.
Test-Achats-Urteil vom 1. März 2011 (Rechtssache C-236/09): Der EuGH erklärte Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates für ungültig, weil er dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zuwiderläuft. Bei der Festlegung von Versicherungsbeiträgen und -leistungen müssen für Männer und Frauen dieselben versicherungsmathematischen Grundsätze zugrunde gelegt werden.
Violeta-Villar-Láiz-Urteil vom 8. Mai 2019 (Rechtssache C-161/18): Der EuGH stellte fest, dass die spanischen Rechtsvorschriften über die Berechnung der Altersrente von Teilzeitbeschäftigten gegen EU-Recht verstoßen, wenn weibliche Arbeitskräfte dadurch besonders benachteiligt werden.
Praxair-Urteil vom 8. Mai 2019 (Rechtssache C-486/18): Der EuGH erklärte, dass die Berechnung der Entlassungsentschädigung und der Zuwendung für die Wiedereingliederung von Bediensteten, die während eines Elternurlaubs auf Teilzeitbasis arbeiten, auf der Grundlage des Entgelts für in Vollzeit erbrachten Arbeitsleistungen erfolgen muss. Widersprüchliche nationale Rechtsvorschriften führen zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Ortiz-Mesonero-Urteil vom 18. September 2019 (Rechtssache C-366/18): Einem Vater wurde es verweigert, in festen Schichten zu arbeiten, damit er besser für seine Kinder sorgen kann. Der EuGH entschied, dass die Richtlinien hier keine Anwendung finden und dass sie keine Bestimmung enthalten, die die Mitgliedstaaten im Rahmen eines Antrags auf Elternurlaub dazu verpflichten könnte, dem Begehren der antragstellenden Person, zu festen Arbeitszeiten zu arbeiten, zu entsprechen, wenn die Person normalerweise im Rahmen eines Wechselschichtmodells arbeitet.
Hakelbracht-Urteil vom 20. Juni 2019 (Rechtssache C-404/18): Der EuGH entschied, dass, wenn eine Person geltend macht, aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert zu werden, und eine Beschwerde einreicht, andere Arbeitnehmer, bei denen es sich nicht um diese Person handelt, geschützt werden müssen, soweit sie von ihrem Arbeitgeber wegen der Unterstützung, die sie formell oder informell der Person, die auf diese Art diskriminiert wurde, entgegengebracht haben, benachteiligt werden können.
Tesco-Stores-Urteil vom 3. Juni 2021 (Rechtssache C-624/19): In seinem Urteil verwies der EuGH zunächst auf sein Urteil in der Rechtssache Praxair MRC (C-486/18), wonach sich das Verbot diskriminierender Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auch auf Tarifverträge und Verträge zwischen Privaten zur Regelung des Entgelts erstreckt. Ferner verwies der EuGH auf seine sonstige ständige Rechtsprechung, die es Gerichten ermöglicht, andere geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen in Bezug auf das Entgelt auf der Grundlage der strittigen Regelung zu bewerten. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass Artikel 157 AEUV so auszulegen ist, dass er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, in denen ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei „gleichwertiger Arbeit“ geltend gemacht wird, unmittelbare horizontale Wirkung entfaltet.
Gutachten 1/19 des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2021 über den Beitritt der Union zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul): In dem Gutachten des EuGH werden die Modalitäten des Beitritts der EU zum Übereinkommen von Istanbul und dessen Rechtsgrundlage präzisiert.
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